Diese Funktion erfüllte bislang Marianne Birthler, die Mitte März nach zwei Amtszeiten aus dem Amt scheiden wird. In der letztwöchigen Sitzung des Bundestages wurde mit grosser Mehrheit Roland Jahn zu deren Nachfolger gewählt. Der Journalist erhielt dabei die Unterstützung aller Fraktionen (535 von 577 gültigen Stimmen; nur 21 Parlamentarier votierten gegen Jahn). Vorgeschlagen wurde Jahn durch die Bundesregierung; dementsprechend erfreut zeigt sich auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann: Dies sei eine "hervorragende Grundlage für die weitere Arbeit der Stasi-Unterlagenbehörde!". Auch der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi zeigte sich mit dem Vorschlag Roland Jahn zufrieden. Der 1952 in Jena geborene Jahn kannte die Behörde, deren Vermächtnis er nun zu verwalten hat, sehr gut. Vor dem Mauerfall war er durchaus berüchtigt für seine SED-kritische Haltung. So verbrachte er aufgrund dessen eine nicht unerhebliche Zeit in den Gefängnissen der DDR, bevor er schliesslich ausgebürgert wurde. Begonnen hat alles 1977, als sich der Student der Wirtschaftswissenchaften an den Protesten gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann beteiligte. Dies führte zu seiner Exmatrikulation an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Beim Traditionsunternehmen VEB Carl-Zeiss-Jena fand er als Transportarbeiter eine Beschäftigung - "zur Bewährung", wie es damals hiess. Trotzdem arbeitete er weiter gegen die Bildungsverbote und Militarisierung in der DDR. 1982 gelangte er in die Fänge des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) - er wurde für die Unterstützung der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc verhaftet (wegen Missachtung staatlicher Symbole) und zu einem Jahr und 10 Monaten Haft verurteilt. Corpus delicti war ein an seinem Fahrrad angebrachtes Fähnchen mit dem Schriftzug der Solidarnosc. Dies war zumindest die offizielle Begründung - Jahn ist dem SED-Regime einfach zu unangenehm geworden. Nur aufgrund internationaler Proteste wurde er nach sechs Monaten wieder auf freien Fusse gesetzt. Das Fass zum Überlaufen brachte dann ein Jahr später die Gründung der "Friedensgemeinschaft Jena". Es folgte die Ausbürgerung und gewaltsame Entfernung aus der DDR. Als Journalist beim Sender Freies Berlin unterstützte er auch weiterhin die Opposition in seiner Heimat, indem er zahlreiche Beiträge über das Leben hinter der Mauer und die dort vonstatten gehenden Menschenrechtsverletzungen für das ARD-Magazin "Kontraste" produzierte. Auch vorort recherchierte er - inkognito reiste er noch vor der Wende in die DDR, liess sich aber dann doch von Freunden zur Ausreise überreden. Bei diesem mehr als gefährlichen Ausflug schmuggelte er eine Kamera ein. Mit ihrer Hilfe wurden sehr viele Bilder der Dezember-Demonstration 1989 geschossen, die in den Westmedien erschienen sind. Mancher Historiker spricht hierbei auch von der Ursache, die die Masse der DDR.Bevölkerung schliesslich auf die Strasse gebracht habe. Jahn betätigt sich seit 1996 auch im Beirat der Robert-Havemann-Gesellschaft und seit 1999 im Fachbeirat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Stiftung Berliner Mauer. 1998 wurde Jahn mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Der Mann weiss also durchaus, wovon er spricht. Die BStU verwaltet nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz eines der grössten Archive Deutschlands. In Wahrheit jedoch ist diese Informations-Ansammlung noch viel grösser gewesen. Der damalige Stasi-Chef Erich Mieke hatte vor dem Fall der Mauer die Vernichtung einiger Teile angeordnet. Auch sein Nachfolger Wolfgang Schwanitz hielt daran fest. Erst als Bürgerrechtler Gebäude des MfS besetzten, wurde die Vernichtung durch Schwanitz gestoppt. Im Februar 1990 wurden die elektronischen Datenträger vernichtet - durch die Auflösung der Hauptverwaltung Aufklärung nur kurze Zeit später fielen auch sehr viele weitere Akten dem Reisswolf zum Opfer (siehe hierzu auch die Rosenholz-Akten). Noch heute sind tausende Säcke mit geschredderten Papierschnipsel noch nicht rekonstruiert! Das Hauptaugenmerk der BStU gilt jedoch der Ermöglichung der Einsichtnahme von Privatpersonen und der Veröffentlichung zahlreicher Unterlagen. Im vergangenen Jahr wurden nicht weniger als 87.000 Anträge auf Einsichtnahme gestellt. Das zeigt das auch 11 Jahre nach dem Mauerfall bestehende Interesse der Bevölkerung an den Spitzelaktionen der Staatssicherheit der DDR. Der Vorsitzende der Behörde wird für 5 Jahre gewählt und kann einmal im Amt bestätigt werden. Der erste Vorsitzende war Joachim Gauck, weshalb die BStU vielen auch als "Gauck-Behörde" bekannt sein dürfte. Jahn wolle diese Funktion als "Anwalt der Opfer" erfüllen. Er wird zwar allerorts aufgrund seines Engagegements lobend hervorgehoben, doch wird auch bescheinigt, dass eine schwierige Aufgabe auf den neuen Chef wartet, die sehr viel Organisationsgeschick und eine klare Zielvorgabe erfordert, betont etwa der Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. So sollen mehr als die Häfte der Akten noch gar nicht richtig erschlossen sein. Die bestehenden Mängel in der Behörde, der nicht weniger als 1.800 Mitarbeiter angehören, müssten endlich beseitigt werden. Jetzt besteht die Chance dazu! Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 3 KW 5 | 14.02.2011 |
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